Piranha Bytes: Der leise Abschied eines Kult-Studios

Klassiker, Pleiten und Skandale aus Essen

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Schluss, aus, vorbei! Für Piranha Bytes ist der letzte Vorhang gefallen. Am 30. Juni 2024 endet mit der Schließung Kult-Spieleschmiede, die diesen gerne vergebenen Titel wohl als eines der letzten deutschen Studios wirklich tragen durfte, eine Ära. 1997 in Bochum gegründet, ist der Weg von Piranha Bytes dabei gesäumt von wegweisenden Erfolgen, spektakulären Pleiten und handfesten Skandalen.

Dreckige Fantasy aus dem Ruhrgebiet

Spieler und Spielerinnen meines Jahrgangs dürfte Anfang der Zweitausender wohl kaum um den größten Fußabdruck von Piranha Bytes herumgekommen sein: die wegweisenden 3D-Rollenspiele Gothic (2001) und Gothic 2 (2002). Ich erinnere mich gerne daran, wie sehr mich das neblige Minental bei meinem ersten Besuch als namenloser Held faszinierte. Seine Bewohner, seine Lager - und seine geerdeten "Ich glaube, ich hau’ dir mal ein bisschen aufs Maul!"-Sprüche. Letztere könnten direkt aus einer Bochumer Eckkneipe stammen und wurden schnell zum Markenzeichen des Studios.

Gothic saugte mich jedenfalls regelrecht nach Myrthana, verzauberte mit nachvollziehbaren Charakter-Reaktionen, glaubhaftem Crafting und einem rückblickend ziemlich umständlichen Kampfsystem. Die Faszination trotzte dabei allen Abstürzen, Bugs und Rucklern. Denn eines waren Spiele von Piranha Bytes nachweisbar noch nie: technisch ausgereift. Erst recht nicht in einer Zeit, in der Patches bestenfalls von Heft-CDs einschlägiger Videospiel-Magazine installiert werden konnten.

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Erste Schritte: Dieser Moment bedeutete 2001 den Aufbruch in ein großes Abenteuer.

Mit seinem robustem "Ruhrpott-Charme", zwischen Sumpfkraut, magischem Erz und fiesen Dämonen, atmete Gothic dreckige und erstaunlich glaubwürdige Fantasy. Das von einer magischen Barriere umgebene Minental war dabei für mich gerade groß genug, um hinter jeder Ecke Gefahr und Abenteuer zu vermuten. Mit seinen Fraktionen, Quests und Monstern schuf Piranha Bytes eine wunderbar skurrile und einzigartige Welt, die so wohl wirklich nur im Ruhrgebiet des ausgehenden 20. Jahrhunderts entstehen konnte. Unvergessen bleibt zudem der Auftritt der Mittelalter-Rocker In Extremo im Alten Lager. So etwas gab es 2001 sonst nirgends.

Gothic 2 diente als Inspiration für The Witcher

Noch mehr beeindruckte mich aber der fantastische Nachfolger Gothic 2, der in meiner Schulklasse über Wochen Gesprächsthema unter den Videospiel-Nerds war. So verlockend war die (für uns) gigantische Spielwelt, so geheimnisvoll die Drachenplage im Minental. Einmalig war damals auch die große Entscheidungsfreiheit. Welcher Fraktion man angehören wollte, welche Skills man lernen wollte, all das blieb mir überlassen. Und: Gothic 2 hatte Einfluss. Kein Geringerer als Mateusz Tomaszkiewicz, Narrative Director von The Witcher und Cyberpunk 2077, nennt das Meisterstück von Piranha Bytes einen großen Einfluss auf die Hexer-Reihe. Auch deshalb stand der Name “Gothic” in Deutschland zurecht Synonym für "großes Abenteuer und dumme Sprüche". Zumindest bis zum verhängnisvollen Jahr 2006.

Gothic 2 war schöner, größer und wilder. Bis heute ist das dreckige Abenteuer ein Rollenspiel-Meilenstein. (Quelle: MobyGames.com)

Der große Gothic-3-Skandal

Dann nämlich folgte für das Hit-Studio, das mittlerweile nach Essen umgezogen war, ein Nackenschlag - und ein echter Skandal. Denn Gothic 3 war groß, ambitioniert, hübsch, zum Release aber völlig kaputt. Erste Testversionen waren von Bugs übersät und das bereits später als geplant zum Presswerk geschickte Gold-Master immer noch so gut wie unspielbar. Dies hielt einige Spiele-Magazine nicht von Hype-Wertungen ab, brachte die Fans der Rollenspiel-Reihe aber schnell auf den löchrigen Boden der Tatsachen zurück. Klar, Bugfixes und Updates folgten, doch ohne seine Community wäre Gothic 3 bis heute nicht fertig gepatcht worden. Doch war das wirklich die Schuld von Piranha Bytes? Von Teilen der Spielepresse zurecht schwer gescholten, räumten die Entwickler*innen zerknirscht ein, dass ihr Spiel so wohl nicht hätte erscheinen dürfen.

Tatsächlich ergibt sich Jahre später ein typisches Bild: Publisher JoWooD pochte 2006 wohl auf den Release-Termin, während man bei Piranha Bytes genau wusste, dass Gothic 3 noch lange nicht fertig war. Dies führte letztlich auch zum öffentlichkeitswirksamen Bruch mit dem Publisher und dem Verlust der Marke, die das Studio groß gemacht hatte. Gothic 3 blieb Piranha Bytes "Unvollendete", da der Split mit dem Publisher auch die Updates nach v.1.12 jäh enden ließ. Einzig Community-Patches stützen das bis heute wacklige Technikgerüst eines eher mittelprächtigen Rollenspiels. Gothic ging im Anschluss dann als Arcania: Gothic 4 mit fliegenden Fahnen unter. Zusammen mit JoWooD, die 2011 Insolvenz anmeldeten.

Ganz schön ... kaputt. Gothic 3 war ambitioniert und sah gut aus, stand aber bis zum Hals in Bugs. (Quelle: MobyGames.com)

Risen: Das unerwartete Comeback

Piranha Bytes aber überlebten ihre erste Götterdämmerung. Mit Risen gelang zunächst ein Qualitäts-Comeback, das zwar nicht mehr an alte Gothic-Höhen anschließen konnte, aber irgendwie doch überzeugte - und zwar vor allem die alten Gothic-Fans, die hier eine Rückkehr zu alten Ruhrpott-Werten erlebten. Es machten sich aber erste Alterserscheinungen bemerkbar.

So war der piratige Nachfolger Risen 2: Dark Waters zwar ein ordentliches Spiel, mechanisch und technisch aber bereits erkennbar veraltet. Ganz nebenbei: die Marke Gothic gehörte dem Studio zu diesem Zeitpunkt wieder. Sie war nach dem Ende von JoWooD 2012 an die Entwickler zurückgegangen. Diese weigerten sich aber, das tote Pferd zu exhumieren. Stattdessen setzten sie sich neue Ziele, die allerdings nicht unbedingt erreicht wurden. Das uninspirierte Risen 3: Titan Lords spricht Bände.

Neuer Risen-Patch von Fans für Fans
Das wahre Comeback Kid: Die Piraten-Fantasy Risen heilte für viele Fans alte Gothic-3-Wunden.

Leises Ende für ein lautes Studio

Doch Piranha Bytes kam abermals zurück. Die Essener schufen mit der schrägen Crossover-Welt von Elex erneut ein einmaliges Szenario. Klar: Schon bei Release hinkten Piranha Bytes der Gaming-Spitze budgetär wie technisch Jahre hinterher. Die eigene Engine lieferte weder eine Kulisse noch ein Spielgefühl, die irgendwie mit The Witcher 3, Dark Souls 3 oder auch Kingdom Come: Deliverance hätten mithalten können. Doch der "Ruhrpott-Charme" war ungebrochen, zumal die bizarre Mischung aus Fantasy, Mad Max und Sci-Fi bei mir (und vielen alten Piranha-Fans) tatsächlich verfangen konnte.

Ein letztes Hurrah: Die Welt von Elex war bizarr, das Spiel überzeugte aber mit Charme und Charakter.

Das Ende wurde allerdings absehbarer. 2019 übernahm THQ Nordic das Traditionsstudio. Und knapp fünf Jahre später breitete die Muttergesellschaft Embracer ihre Arme zur letzten, endgültigen Umarmung aus. Denn Erfolg gilt in der Spielebranche leider nur noch bis zum nächsten Spiel. In dieser Hinsicht ähnelt die moderne Spielewelt sehr dem modernen Fußball - und ist oft gleichermaßen gnadenlos mit seinen Akteuren.

So wurde am Ende auch Piranha Bytes mit genau der Kapitalismus-Sense gemäht, die Embracer zuletzt in seinem ganzen Spieleportfolio kreisen ließ. Klar: Elex 2 (2022) war in vielerlei Hinsicht zu wenig. Technisch unterlegen, spielerisch veraltet, inhaltlich egal. Das zeigte sich dann auch in Verkaufszahlen und Umsatz. Trotzdem bedauere ich das beinahe lautlose Ende eines so traditionsreichen und wegweisenden Studios. Dabei kommt die Schließung aber nicht ganz überraschend. Ein letzter Social-Media-Post Anfang 2024 machte die dramatische, finanzielle Lage deutlich, betonte aber "schreibt uns noch nicht ab."

Kurz darauf wurde bekannt, dass die Urgesteine Jennifer und Björn Pankratz das Studio bereits Ende 2023 verlassen hatten. Jetzt scheint der letzte Vorhang endgültig gefallen - ganz ohne großen Schlussapplaus. Und ich bin ehrlich: mit einem kleinen Augenzwinkern hätte ich Piranha Bytes einen ordentlichen Skandal am Ende ihres Weges durchaus gegönnt.

Wie geht es weiter?

Die Piranha-Urgesteine Jennifer und Björn Pankratz machen auch nach der Studio-Schließung weiter. Neue kreative Heimat sind die frisch gegründeten Pithead Studios. Allerdings wohl ohne Risen, Gothic oder Elex. Diese Marken gehören, genau wie das seit einiger Zeit in Entwicklung befindliche Remake von Gothic, seit der Übernahme THQ Nordic und Embracer. Wie es mit den rund 30 weiteren Mitarbeitern des Studios aussieht, ist derzeit nicht bekannt. Die meisten werden sich an anderer Stelle einen neuen Job suchen müssen.

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