Anthem im Test: Zu viele Fehler für zu wenig Inhalt

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Test David Benke - Autor
Anthem im Test: Zu viele Fehler für zu wenig Inhalt
Quelle: PC Games

Mit Anthem verlassen die Rollenspiel-Spezialisten von Bioware endgültig ihr vertrauetes Terrain und machen sich auf zu neuen Genre-Ufern. Wir haben den Loot-Shooter in den vergangenen Wochen ausgiebig gespielt und klären nun im umfangreichen Test: Bringt der Titel frischen Wind in die Segel des kanadischen Studios oder droht eher ein Schiffbruch mit Ansage?

Anthem im Test: Shops für Schönlinge

Außerdem ist es im Vergleich zu anderen Genre-Vertretern wie Destiny 2 oder Tom Clancy's The Division nicht möglich, Zubehör für Ingame-Währung kaufen. Stattdessen seid ihr bei der Verbesserung eures Charakters und dessen Ausrüstung voll und ganz auf eure Beute angewiesen. Unglücklicherweise fällt diese nicht immer sonderlich berauschend aus. Teilweise kann es auch sein, dass ihr Gegenstände erhaltet, die weder zu eurem Level noch zu eurem Spielstil passen. Immerhin: Gefundener Loot lässt sich auch in seine Einzelteile zerlegen und zusammen mit anderen Materialen, die ihr in der Spielwelt findet oder beim Händler kauft, zu neuem Equipment verarbeiten. Da ihr die nötigen Baupläne allerdings auch erst freispielen müsst, kann es schon mal eine Weile dauern, bis ihr eure ideale Item-Kombination zusammengestellt habt.

Noch einmal zusätzliche Zeit könnt ihr in die Optik eures Javelins investieren. Ihr dürft eurem Anzug etwa Sticker hinzufügen oder die Farben der einzelnen Teile ändern. Wer sich von der Masse abheben möchte, für den lohnt sich zudem ein Abstecher in den Ingame-Shop. Dort bekommt ihr für verdiente Münzen oder für Echtgeld neue Rüstungen, die allerdings keine spielerischen Vorteile mit sich bringen. Alle Mikrotransaktionen in Anthem sind also rein kosmetischer Natur.

Im Shop könnt ihr neue Outfits für euren Freelancer kaufen - entweder für Ingame-Währung oder für Echtgeld. Quelle: PC Games Im Shop könnt ihr neue Outfits für euren Freelancer kaufen - entweder für Ingame-Währung oder für Echtgeld.

Anthem im Test: Seichtes aber spaßiges Gameplay

Seid ihr schließlich irgendwann mit Ausstattung und Aussehen zufrieden, könnt ihr euch endlich ins Getümmel stürzen - wahlweise alleine, mit Freunden oder fremden Mitspielern, die ihr über den Social-Hub, die Startrampe, finden könnt. Zur Auswahl stehen euch diverse Story-Missionen, Nebenquests und die sogenannten Festungen mit besonders fordernden Gegnern und entsprechend guter Belohnung. Ablauf und Design der einzelnen Aufträge unterscheiden sich allerdings nur marginal: Es gilt, entweder einen Missionsgegenstand zu bergen, einen Punkt zu verteidigen oder alle Gegner in einem bestimmten Bereich zu eliminieren. Die einzige (aber leider weniger gelungene) Ausnahme bildet eine Grind-Mission in der Mitte des Spiels, die euch zwingt 15 teils stupide Herausforderungen abzuschließen.
Jeder Freelancer verfügt über diverse Angriffe und Fähigkeiten, die ihr im Team gut aufeinander abstimmen müsst. Quelle: PC Games Jeder Freelancer verfügt über diverse Angriffe und Fähigkeiten, die ihr im Team gut aufeinander abstimmen müsst.
Trotz dieses Mangels an Abwechslung gestaltet sich Anthem aber dennoch überraschend spaßig. Die actiongeladenen Feuergefechte machen dank der präzisen Steuerung und wuchtigen Kombos ordentlich Laune. Das bombastische Effekt-Gewitter auf dem Bildschirm sorgt für zusätzliche Stimmung. Auch, wenn man vor lauter Blitzen, Flammen und Explosionen manchmal etwas den Überblick verliert.

Anthem im Test: Hier wird Teamplay kleingeschrieben

Hier und da stellt euch Anthem auch einmal vor kleinere Rätsel. Tipps zu deren Lösung sind meist in der direkten Umgebung versteckt. Quelle: PC Games Hier und da stellt euch Anthem auch einmal vor kleinere Rätsel. Tipps zu deren Lösung sind meist in der direkten Umgebung versteckt. Ja, Biowares Loot-Shooter ist nicht immer unbedingt taktisch geprägt. Gerade in den frühen Missionen herrscht mehr wildes Geballer als kooperatives Vorgehen. Obwohl errungene Erfahrungspunkte innerhalb der Gruppe geteilt werden, versuchen Spieler nämlich gern krampfhaft, am meisten Gegner zu töten, als erstes den Quest-Gegenstand einzusammeln oder am schnellsten am Zielort anzukommen. Dieser kompetitive Charakter hat oftmals den negativen Nebeneffekt, dass ihr automatisch ins Missionsgebiet teleportiert werdet, wenn ihr euch versehentlich zu weit von euren Kameraden entfernt. Das zieht dann wiederum eine weitere Ladezeit nach sich.

Im Verlauf der Geschichte wird das Spiel dann aber immer mehr durch Teamwork geprägt. Gerade bei härteren Widersachern wie den riesigen steinernen Titanen, die einiges aushalten und austeilen, seid ihr und eure Mitspieler darauf angewiesen, eure Angriffe aufeinander abzustimmen und einander wiederzubeleben. Sonst wird das Squad schnell ausgelöscht und ihr müsst am letzten Checkpoint von vorne anfangen.

Anthem im Test: Kein Chat, keine Tutorials

Etwas schade fanden wir hierbei die fehlende Kommunikation. Während unseres Tests sind wir niemandem über den Weg gelaufen, mit dem wir per Push-to-Talk hätten reden können. Auch einen Chat oder kurze Kommandos (Heilung, Deckung, Danke etc.) haben wir vergeblich gesucht. Die wären für die Zukunft eine sinnvolle Ergänzung, besonders, um sich auch mit zufälligen und nicht besonders mitteilungsbedürftigen Mitspielern gut abzusprechen. In dem Kontext würden wir uns auch noch eine Überarbeitung des Matchmakings wünschen. Momentan werdet ihr nämlich gerne mal mit wesentlich stärkeren Spielern in eine Sitzung geschmissen.
Nerviges Gummiband: Entfernt ihr euch zu weit von eurem Team, werdet ihr automatisch zurück ins Missionsgebiet teleportiert. Quelle: PC Games Nerviges Gummiband: Entfernt ihr euch zu weit von eurem Team, werdet ihr automatisch zurück ins Missionsgebiet teleportiert.
Und wo wir schon gerade beim Meckern sind: Warum erklärt Anthem eigentlich so wenig? Klar, im Tutorial-Menü des Cortex bekommt ihr ein paar Basis-Tipps zum Spielstart. Aber versucht dort doch mal die genauen Effekte von Eis oder Feuer-Attacken nachzulesen. Oder herauszufinden, was es mit dem Pfad zum Ruhm, eurem Allianzlevel oder dem Ansehen bei verschiedenen Fraktionen auf sich hat. Oder wie das System um Primer und Detonatoren, eine der tragenden Gameplay-Säulen von Anthem, nun im Detail funktioniert. Viel Glück dabei!

Anthem im Test: Reich an Bugs, arm an Content

Wer Anthem spielen möchte, sollte Geduld mitbringen. Der Titel lässt euch öftmals mehrere Minuten auf einen Ladebildschirm starren. Quelle: PC Games Wer Anthem spielen möchte, sollte Geduld mitbringen. Der Titel lässt euch öftmals mehrere Minuten auf einen Ladebildschirm starren. Auch aus technischer Sicht läuft im neuen Bioware-Titel nicht immer alles einwandfrei: Zwischensequenzen werden teils zu früh abgeschnitten, sodass ihr wichtige Infos verpasst. Dazu kommt es immer wieder mal zu Ton-Aussetzern. Die Grafik leidet unter vereinzelten Clipping-Fehlern und Pop-Ins, unter voller Belastung gerät des Spiel schon mal ins Ruckeln. Wesentlich ärgerlich sind allerdings die Bugs, die über Darstellungsprobleme hinausgehen: So sorgen Blackscreens, Verbindungsabbrüche oder defekte Missions-Trigger öfters mal dafür, dass ihr einen Auftrag nicht zu Ende bringen könnt. Diese Fehler tauchen zu allem Überfluss sogar noch nach dem groß angekündigten Day-One-Patch auf, der sich eigentlich um solch elementare Schnitzer kümmern sollte.

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Zu guter Letzt müssen wir auch noch über das Endgame nach der (mit etwa 20 Stunden recht knappen) Kampagne sprechen: Das fällt nämlich ziemlich mau aus. Ihr könnt noch ein paar Herausforderungen meistern, Nebenmissionen erledigen oder per Schnelleinstieg einen zufälligen Auftrag noch einmal spielen - wahlweise in einem von drei neuen Schwierigkeitsgraden, die ihr mit Stufe 30 (dem aktuellen Level-Cap) freischaltet. Schaden und Gesundheit eurer Gegner sind dann bis zu 3.100 Prozent höher. In Anthem kommt es immer wieder einmal zu seltsamen Bugs und Glitches. Während einige nur komisch aussehen, können andere ganze Missionen ruinieren. Quelle: PC Games In Anthem kommt es immer wieder einmal zu seltsamen Bugs und Glitches. Während einige nur komisch aussehen, können andere ganze Missionen ruinieren. Zu guter Letzt schaltet ihr mit dem Abschluss der Story auch noch zwei zusätzliche Festungen frei, die ihr auf der Suche nach besserem Loot hoch- und runter-grinden könnt. Das war es dann aber auch schon. Anthem macht hier also genau dieselben Fehler, die bereits Destiny 2 oder The Division vor Jahren angekreidet wurden: Den Spielern werden in der Schlussphase des Titels einfach zu wenig neue Anreize geboten, um auch weiterhin dran zu bleiben. Warum Bioware aus den Versäumnissen der Konkurrenz allerdings nicht rechtzeitig seine nötigen Schlüsse gezogen hat, bleibt uns ziemlich schleierhaft.

Anthem im Test: Fazit und Wertung

Wertung zu Anthem (PC)

Wertung:

6/10
Pro & Contra
Interessante, ansprechend gestaltete SpielweltSpaßige FortbewegungsmechanikVier Javelins mit individuellen FähigkeitenUnterhaltsames Shooter-GameplayGute Vertonung, toller Soundtrack
Teils leb- und ereignislose UmgebungenKonfuse StoryViel zu wenige Tutorials/ErklärungenVereinzelte Grafik- und Performance-ProblemeSchlechtes MatchmakingWenig Umfang, fehlender Endgame-ContentGamebreaking BugsEintöniges MissionsdesignMassive Ladezeiten
Fazit

Anthem mangelt es massiv an Feinschliff und Inhalten. Hier sollte Bioware möglichst zeitnah reagieren.

    • Kommentare (93)

      Zur Diskussion im Forum
      • Von xaan Spiele-Kenner/in
        Zitat von Spiritogre
        In der aktuellen Famitsu ist Anthem mit 32 von 40 Punkten das best bewertete Game der Ausgabe (zusammen mit Ape Out von Devolver Digital). Schon nett für einen westlichen Titel.
        Krass. Bisher war mein Blick auf die japanische Spielelandschaft, dass man dort vor allem Spiele zu schätzen weiß, die mechanisch gut funktionieren. Die nicht nur Grafikblender sind. Scheinbar lag ich damit falsch.
      • Von xaan Spiele-Kenner/in
        Zitat von Spiritogre
        In der aktuellen Famitsu ist Anthem mit 32 von 40 Punkten das best bewertete Game der Ausgabe (zusammen mit Ape Out von Devolver Digital). Schon nett für einen westlichen Titel.
        Krass. Bisher war mein Blick auf die japanische Spielelandschaft, dass man dort vor allem Spiele zu schätzen weiß, die mechanisch gut funktionieren. Die nicht nur Grafikblender sind. Scheinbar lag ich damit falsch.
      • Von Spiritogre
        Zitat von suggysug
        Umgerechnet auf unser Punktesdystem sind es 8 Punkte.
        Ja, bei der Famitsu gibt es für jedes Spiel vier Tester die 1 - 10 Punkte vergeben und die werden für die Endnote zusammengezählt, deswegen auch die komische 40 als Höchstwertung.
      • Von suggysug Spiele-Enthusiast/in
        Zitat von Spiritogre
        In der aktuellen Famitsu ist Anthem mit 32 von 40 Punkten das best bewertete Game der Ausgabe (zusammen mit Ape Out von Devolver Digital). Schon nett für einen westlichen Titel.
        Naja in Japan rockt das Spiel die Decke durch. (Gemessen an das was in Westen passiert.)

        Vermutlich der Transformers/Ironmanstil der dort super ankommt!

        Umgerechnet auf unser Punktesdystem sind es 8 Punkte.
      • Von Spiritogre
        In der aktuellen Famitsu ist Anthem mit 32 von 40 Punkten das best bewertete Game der Ausgabe (zusammen mit Ape Out von Devolver Digital). Schon nett für einen westlichen Titel.
      • Von Zybba
        Zitat von MrFob
        Was dagegen aber echt mal wieder geil ist ist das hier
        War es nicht so, dass man die Standardwaffe nicht aus dem Inventar löschen konnte?
        Vielleicht ist das die "Versicherung", dass man selbst nach dem Löschen aller anderen Waffen mit seinem aktuellen Level noch klar kommt.
        So oder so, komisches Design! :D
      Direkt zum Diskussionsende
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